Auf verschiedensten Wegen erreichen mich Fragen. Die Zeit ist knapp und somit kann ich Fragen entweder gar nicht beantworten oder nur kurz oder aber sie ist so interessant, dass man daraus sogar einen Videobeitrag machen kann. Zum Thema Verräter und Landesverrat schien mir eine etwas längere Antwort durchaus angebracht.
Die Frage kam aus Thüringen, dem Bundesland, dem interessante politische Veränderungen im September bevorstehen – sie stehen bevor, egal wie die Wahlen ausgehen und egal, welche Parteien zu den Wahlen zugelassen werden.
Aber es ging dem Fragesteller nicht um deutsche Verräter, sondern um russische. Er nannte den Politologen Pjakin als ein treffendes Beispiel für diejenigen, die überall in Russland Verrat wittern.
Der Fragesteller meinte, dass es für einen Außenstehenden, der auch die russische Sprache nicht besonders gut beherrscht, sehr schwierig ist, all diese innenpolitischen Vorgänge richtig zu verstehen und zu beurteilen. Und somit bat er um meine Meinung.
Neben Pjakin, mit dem ich virtuell und medial nicht sehr gut bekannt bin, gibt es noch andere gesellschaftlich aktive Bürger, die im ganzen Land nur Verräter wittern. Ich nenne hier nur als Beispiel den Duma-Abgeordneten der Partei Einiges Russland und Leiter der Bewegung „Nationale Befreiungsbewegung“ Jewgeni Fjodorow.
Irgendwann, ich glaube es war im Jahre 2018, machte ich das erste Mal Bekanntschaft mit der von ihm geleiteten Organisation „Nationale Befreiungsbewegung“. Mit Entsetzen hörte ich auf einem zentralen Platz in Kaliningrad, dass alle in Russland Verräter sind. Nur einer ist kein Verräter: Putin.
Ich war damals genau so irritiert, wie es mein Fragesteller war. Ich war um so mehr irritiert, als ich erfuhr, dass Fjodorow Mitglied der Partei Einiges Russland ist und sogar Duma-Abgeordneter. Und er war dies nicht erst seit gestern, sondern schon über viele Jahre. Auch heute ist er noch Duma-Abgeordneter und … wie wir heute wissen, hat er mit seinen Anschuldigungen in vielen Fällen Recht gehabt.
Ich kenne natürlich die Anschuldigungen an die Zentralbankchefin, die Verschwörungsanschuldigungen im Zusammenhang mit der Zentralbank. Der Raub der 300 Mrd. Euro hat diese Theorien noch befestigt.
Dmitri Peskow, der Pressesprecher des russischen Präsidenten, bekennt sich ganz offiziell zu seiner liberalen Einstellung, was aber nicht unbedingt heißt, dass er ein Verräter ist. Wäre er es, so wäre er schon nicht mehr an der Seite von Putin.
All diese „zweifelhaften“ Personen im unmittelbaren Umfeld von Putin zeigen mir, dass Putin keine Leute um sich haben will, die ihm immer nur nach dem Mund reden. Er braucht Leute, die ihn mit ihrem Widerspruch, mit ihren liberalen Ansichten zum Nachdenken anregen. Andere behaupten eben, dass es Verräter sind.
Ich persönlich habe in meinem Umfeld auch Personen, die häufig nicht meiner Meinung sind. Und ich bin froh, dass diese in meiner Umgebung sind. Mit ihren Ansichten haben sie mich schon vor vielen Fehlern bewahrt. Und ich würde sie nicht als Verräter oder Feind bezeichnen. Es kommt immer darauf an, wie man sich mit seiner abweichenden Meinung einbringt.
Natürlich vermutet man immer Verrat, wenn im Land, gerade in der jetzigen schwierigen Situation, irgendetwas nicht klappt, irgendetwas nicht ideal verläuft. Aber natürlich gibt es Verräter – viele Verräter. Das ist auch für mich unstrittig.
Putin hat anscheinend einen Weg gefunden, um die Gesellschaft von diesen zu befreien und dabei nicht die Verfahrensweise anzuwenden, wie es Stalin getan hat. Man führt keine Schauprozesse durch, man verhaftet im Prinzip niemanden, es sei denn, es wird buchstäblicher Landesverrat, Spionage begangen und man kann dies beweisen. Putin hat einfach die Grenzen des Landes offengelassen und alle die Bürger, die etwas für sich befürchten, können ausreisen. Damit befreit man die russische Gesellschaft von illoyalen Bürgern und möglichen Verrätern. Russland hat in seiner Geschichte nach 1917 bereits eine riesige Auswanderungswelle überlebt und wird auch diese aktuelle Säuberungsperiode jetzt überleben.
Die Personen, die wir heute als Verräter in führenden Positionen vermuten und die das Land nicht verlassen haben, müssen ganz geschickt vorgehen, wenn sie die Aufgaben ihrer „Sponsoren“ noch weiter erfüllen wollen. Die Gesellschaft ist stark sensibilisiert. Viele von denen, die damals in den neunziger Jahren angeworben worden sind, ein Studium oder Qualifizierungslehrgang im Westen absolviert haben, versuchen jetzt durch Manipulierung von Lebensläufen und Vernichtung von Dokumenten, diesen Zeitabschnitt zu verstecken. Die russischen Sicherheitsorgane wissen dies und werden natürlich bei Bedarf die fehlenden Informationen mit Sicherheit wiederfinden.
Dann hat Putin vor wenigen Tagen eine weitere Ankündigung zur Gesundung der Gesellschaft gemacht. Er sprach davon, eine neue gesellschaftliche Elite zu schaffen. Diese soll aus denen bestehen, die jetzt an der Front kämpfen. Hier wird die neue Elite geboren und diese wird die Zukunft des Staates in die Hände nehmen. Mit anderen Worten, die Zeit der Verräter, die jetzt noch irgendwelche Positionen in staatlichen Strukturen besetzen, geht dem Ende zu, denn es wird einen schnellen Personalaustausch geben.
Ich bin mit der Meinung meines Fragestellers einverstanden, der mir in seinem Kommentar erklärte, dass Russland schon längst zusammengebrochen wäre, wenn wirklich alle Verräter in Russland sind. Dem ist ja nicht so. Russland steht auf ziemlich festen Füßen.
Danke für Ihre Frage. Danke für Ihr Interesse und Ihre Aufmerksamkeit. Tschüss und Poka aus der Blockadestadt Kaliningrad