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Baltische Welle

Maja Rossia. Twaja Rossia. Nascha Rossia. Deutsche in Kaliningrad

Am vergangenen Wochenende hielt sich eine ziemlich große Reisegruppe, bestehend aus über 70 Personen, in Kaliningrad auf. Erichowitsch von der „Baltischen Welle“ hatte Gelegenheit, einige Eindrücke zu sammeln und sich Gedanken zu machen.

In der heutigen Zeit erregt natürlich die Anwesenheit einer derart großen Gruppe Deutscher Aufmerksamkeit. Die Zeit, wo die Nostalgiedeutschen nach Kaliningrad … äh, nein, die reisten ja nach Königsberg, in Massen … fast hätte ich formuliert „in Unmassen“ … nach Kaliningrad kamen, sind lange vorbei. Zum einen ist die Generation der wirklich echten Königsberger so gut wie ausgestorben oder einfach nicht mehr reisefähig und zum anderen ist die Erbengeneration dieser Königsberger, bedingt durch die aktuelle politische internationale Situation derart, dass viele dieser „Neu-Königsberger“ wohl Angst haben, sich zu uns zu begeben – vermutlich haben sie die neue russische Verfassung gelesen, die revanchistische Ansprüche nicht duldet.

Und diejenigen, die einfach nur touristisches Interesse haben, scheuen vor den Schwierigkeiten zurück, die die freiheitlich-demokratische Regierung der BRD für Reisen von und nach Russland geschaffen hat.

Und, wie hat jemand während der Versammlung der deutschen Reisegruppe im Hotelrestaurant formuliert: „Bitte nicht filmen, denn es besteht die Gefahr, dass, wenn Personen im Internet erkannt werden, diese ihren Arbeitsplatz verlieren, weil sie in Russland waren.“ Ich war schockiert, dass sich die Freiheit und Demokratie in Deutschland so entwickelt hat, dass ich als Blogger in Russland unsere deutschen Besucher nicht mehr filmen darf, ohne diese in Gefahr zu bringen.

Ziemlich lange Vorrede … kommen wir zum Thema.

Ich hatte mich auf den Besuch dieser deutschen Gruppe ein klein wenig vorbereitet, meine persönliche Planung neu organisiert und die Betreuung von „Frieda in Kaliningrad“ neu geordnet. Drei Tage wollte ich mich diesen Deutschen zur Verfügung stellen, um deren Fragen zu beantworten.

Mir wurde erklärt, dass ein Großteil der Mitglieder dieser Reisegruppe sich mit dem Gedanken trägt, seinen Lebensmittelpunkt nach Russland, also auch nach Kaliningrad, zu verlegen. Allerdings hatte ich im Verlaufe meiner Anwesenheit den Eindruck, dass eigentlich niemand nach Russland und Kaliningrad übersiedeln wollte. Ein, zwei Personen erzählten mir, dass sie am überlegen sind … Aber was wollten dann die 73 Deutschen in Kaliningrad?

Eine der wichtigsten Aufgaben schien für die Mehrheit der Gruppenmitglieder das Anlegen eines Bankkontos zu sein. Dazu braucht man natürlich eine SIM-Karte. Das wurde alles durch die Veranstalter dieser Reise organisiert.

Mit einer ganzen Reihe Deutscher konnte ich mich zum Thema Bankkonto und Geldtransfer nach Russland unterhalten und war erstaunt, wie wenig meine Gesprächspartner über das russische Bankenwesen, die damit im Zusammenhang stehenden antirussischen Sanktionen und möglichen perspektivischen Gefahren informiert waren. Und niemand erklärte es diesen Leuten.

Ich wollte es diesen Leuten erklären – nicht nur das Bankenwesen, sondern auch das Gesundheitswesen, das Versicherungswesen, das Immobilienwesen … ich wollte Fragen zur Medikamentenversorgung, dem Schulwesen und und und beantworten. Damit die Mitglieder der Reisegruppe auch wissen, dass „Erichowitsch“ existiert und bereit ist Fragen zu beantworten, stellte ich jede Menge Kurzvideos mit Kurzkommentaren in den Telegram-Kanal der Veranstalter ein. Diese hatten mich im Vorfeld der Reise gebeten, ein wenig Unterstützung in Kaliningrad zu leisten. Da sie selber keinerlei Vorgaben machten, wie ich helfen soll, habe ich in Eigeninitiative ein wenig Reklame gemacht um diesen Deutschen mit meinen Mini-Videos und kurzen Anmerkungen zu helfen.

Es gibt in Russland ein Sprichwort: „Jede beliebige Initiative wird bestraft – Инициатива наказуема“.

Und so wurden alle meine Videos und Informationen, die ich im Verlaufe von zwei Tagen auf dem Telegram-Kanal des Veranstalters eingestellt hatte, von irgendjemandem gelöscht. Eine Erklärung, die für mich verständlich und nachvollziehbar wäre, erhielt ich nicht. So machte ich gute Miene zum … na, Sie wissen schon … und machte mir auch so meine Gedanken.

Einer der Anwesenden stellte mir eine völlig berechtigte Frage. Ich würde fast sagen, dass es die wichtigste Frage für mich war, die mir in den zwei Tagen meiner Anwesenheit gestellt wurde: „Halten Sie es für gut, dass Deutsche sich im Kaliningrader Gebiet ansiedeln wollen?“ Ich gab eine ganz schnelle und ganz kurze Antwort: „Nein.“ Und somit ergeben sich aus meiner ablehnenden Haltung zu jedweden deutschen Siedlungsprojekten in Kaliningrad, auch meine weiteren Überlegungen.

Eine nette Frau aus der Reisegruppe erzählte mir, dass sie an einer Stadtexkursion teilgenommen hat. Sie wisse jetzt alles aus der Königsberger Geschichte. Zur Kaliningrader Geschichte hat sie kaum Informationen bekommen. Schade, fand ich, dass die Veranstalter dieser Besuchsreise nicht im Vorfeld mit den Exkursionsfirmen geklärt haben, dass es sich doch eigentlich um Deutsche handelt, die in der modernen Stadt Kaliningrad zukünftig vielleicht leben wollen - es sind keine wirklichen Touristen – oder sollte ich mich da getäuscht haben? Somit hätte man den Schwerpunkt der Exkursionen doch auch auf unsere modernen Errungenschaften lenken können, denn in erster Linie dürften doch die Bedingungen interessant sein, unter denen man heute in Kaliningrad leben kann. Aber das wurde wohl nicht ausreichend vermittelt und Fragen stellte auch niemand – zumindest mir stellte man keine Fragen.

Aber selbst die Veranstalter, die die Deutschen nach Kaliningrad gerufen hatten, sind sich wohl der besonderen Befindlichkeiten, die wir hier in Kaliningrad haben, nicht richtig bewusst gewesen. So luden sie auch zu einer Exkursion auf die Kurische Nehrung ein. Ich zuckte mehrmals zusammen, als dieses Exkursionsziel genannt wurde … verstand aber, dass man Kurskaja Kosa meinte.

Für diejenigen, die in Kaliningrad ihren neuen Lebensmittelpunkt finden wollen, sollte klar sein, dass wir in einer russischen Region mit russischen Bezeichnungen leben und wer sich daran nicht gewöhnen will oder kann, sollte seinen neuen Lebensmittelpunkt in Sibirien oder sonst wo suchen. Das Thema Germanisierung ist gegenwärtig – slawa Bogu – nicht mehr so im Zentrum der Aufmerksamkeit. Aber vergessen haben wir, die Kaliningrader gesellschaftlich Aktiven, diese Thematik nicht. Und Neusiedler, die sich nicht an die russischen Realitäten halten, werden wohl kein besonders angenehmes Leben in Kaliningrad haben – vermute ich mal.

Kultur ist natürlich immer auch eine Geschmackssache. Die Gruppe die während eines Abendessens aufgetreten ist – natürlich hat sie „Kalinka“ gesungen, hat mir gefallen. Aber das heutige Russland, in dem diese Deutschen ja eigentlich leben wollen, ist nicht „Kalinka“ sondern „Shaman“. Ich hätte mir gewünscht, dass ein wenig mehr gegenwärtige Realität durch die Veranstalter organisiert worden wäre und keine Kalinka-Malinka-Nostalgie. Aber vielleicht habe ich etwas verpasst, denn ich war ja nicht 24 Stunden anwesend.

Gefreut habe ich mich, als einige Gäste vor allen Anwesenden ihre Motivation für eine Mitarbeit bei dem Veranstalter dieser Reise darlegten: „Wir möchten die deutsch-russische Freundschaft entwickeln.“ Als ich das hörte, fühlte ich mich gleich heimisch, so wie damals, vor 33 Jahren, als wir auch alle sowjetische Freunde waren, aber keine sowjetischen Freunde hatten.

Im Verlaufe des Samstagabends, wo ein wirklich reichhaltiges Essen angeboten wurde, wurde auch gefragt, wer denn von den Anwesenden nach St. Petersburg weiterreisen möchte. Ich glaube, fünf Hände haben sich nach oben gestreckt. Alle anderen Deutschen wollten somit nur nach Kaliningrad und am Montag wieder abreisen. Innerlich zeigte ich mich beeindruckt, welche Mühsal, welchen Aufwand sowohl die Reisenden, wie auch die Veranstalter auf sich genommen haben für einen derartigen Kurzaufenthalt, der auf keinen Fall ausreichend ist, um auch nur Mindesteindrücke zu erhalten, die helfen, Entscheidungen für ein mögliches Auswandern aus Deutschland nach Russland zu treffen.

Ich habe vergessen die Frage zu stellen, wieviel die Deutschen für die Reise dem Veranstalter bezahlt haben. Aber aus öffentlich zugänglichen Quellen konnte ich erfahren, dass diese Organisation ohne jegliche Bezahlung oder kommerzielles Interesse arbeitet. Sie helfen Ausreisewilligen in allen Fragen mit Ratschlägen, praktischen Tipps und anderen Dienstleistungen. Das beeindruckte mich, denn Menschen, die kostenlos anderen Menschen helfen, trifft man natürlich nicht so häufig in dieser materiell orientierten Welt.

Ich versuche natürlich auch zu helfen, aber meine kostenlose Hilfsbereitschaft hat seine Grenzen. Häufig habe ich festgestellt, dass, wenn ich für weitergehende Dienstleistungen ein kommerzielles Angebot mache, das Interesse sofort wegbricht. Niemand will für die Arbeit anderer bezahlen. Somit beschäftige ich mich mit anderen Dingen, um das Geld zu verdienen, welches ich brauche, um Brot und Butter zu kaufen. Vielleicht ergibt sich ja mal irgendwann die Möglichkeit an die Helfer für Ausreisewillige die Frage zu stellen, wie sie ihr Leben organisieren - ohne Einnahmen. Aber ich befürchte, ich werde wohl zu indiskret.

Der Sonntag ist eigentlich dafür bestimmt, sich zu erholen und von den Alltagsfragen ein wenig abzuschalten. Aber eine Frage hat mir einfach keine Ruhe gelassen. Warum wollen so viele Deutsche in Kaliningrad ein Bankkonto anlegen? Ich meine jetzt nicht nur die Mitglieder der aktuellen Reisegruppe. Ich weiß, dass viele, sehr viele Bankkonten durch Ausländer in Kaliningrad in der letzten Zeit eingerichtet worden sind. Einerseits schmeichelt es natürlich, wenn Ausländer Vertrauen zum russischen Bankensystem haben. Noch vor zehn Jahren war dies nicht so. Elvira Nabiullina, die Chefin der russischen Zentralbank, die seit Mitte 2013 im Bankensektor mit eiserner Energie aufräumt, kann zufrieden sein mit den Resultaten ihrer Arbeit zur Disziplinierung des Bankensektors.

Einige Deutsche haben meine Frage damit beantwortet, dass sie einfach nur ein paar Rubel schon vor Ort haben wollen für zukünftige Reisen, denn Bargeld darf ja nicht mehr mitgenommen werden. Ich fand, dass dies ein guter nachvollziehbarer Grund ist. Und wenn sich die Situation zuspitzt und die Grenzen generell geschlossen und alle anderen Kontakte ebenfalls gekappt werden, ist der Verlust von 100.000 Rubel sicherlich ärgerlich, aber doch nicht die Vorstufe zur Privatinsolvenz.

Aber ich habe mir auch vorgestellt … bitte entschuldigen Sie, meine lieben Kaliningrad-Besucher, meine überströmende Phantasie, dass alle diese 73 Reisenden jetzt ein Bankkonto in Kaliningrad mit je 100.000 Rubel angelegt haben. Das sind dann schon 7.300.000 Rubel. Damit kann man insgesamt recht viel anfangen in Kaliningrad. Und es gibt ja noch andere Ausländer, die mehr als 100.000 Rubel anlegen. Der Deutsche, der doch für seine Sparsamkeit, seine Überängstlichkeit und seine ewigen Rückversicherungen bekannt ist, geht ein derartiges Risiko ein – in einem Land, dessen Bankensystem er nicht kennt, dessen Sprache er nicht kennt, wo es niemanden vor Ort gibt, der wirklich als ehrliche Feuerwehr arbeiten kann? Das macht mich nachdenklich. Und ich habe mich an Erzählungen aus dem Jahre 2014 erinnert. Da sollen die Amerikaner den ukrainischen Banken nicht vertraut haben, sondern fünf Milliarden USD mit dem Koffer und einem Sonderflugzeug zum Maidan gebracht haben.

Natürlich sind das alles völlig blödsinnige Phantasien von Erichowitsch, der überall nur Gefahren für sein geliebtes Kaliningrad und seinen geruhsamen Lebensabend sieht … aber so ist er nun mal, der Erichowitsch.

Autor des Beitrages ist „Baltische Welle“. Vielen Dank für Ihr Interesse und Ihre Aufmerksamkeit. Tschüss und Poka aus Kaliningrad.