Найти тему
Baltische Welle

Dunkel war`s, der Mond schien helle oder ein landwirtschaftliches Gespräch in der Sauna

Gespräche in einer russischen Sauna sind vermutlich zu vergleichen mit Gesprächen an einem deutschen Stammtisch. Während der Russe deutsches Bier kennt, kennen nur wenige Deutsche eine russische Sauna. Ich möchte Sie an den Gesprächen teilhaben lassen, die dort jeden Morgen, mehr oder weniger hitzig, geführt werden.

Dunkel war`s, der Mond schien helle, als ein Auto blitzesschnelle, langsam um die runde Ecke fuhr. Drinnen saßen stehend Leute, schweigend im Gespräch vertieft … naja, und so weiter und so weiter. Sie kennen dieses Gedicht, welches mir in den Sinn kam, als ich schweigend und tief nachdenklich einem Gespräch in der Sauna folgte, welches genauso entgegengesetzt in den Ansichten war, wie das zitierte Gedicht.

Vieles in Russland verändert sich jetzt – einiges zum Guten, einiges weniger zum Guten. Auch unser Saunakollektiv ändert sich. Die Diskussionen sind ruhiger geworden – wenn auch nicht immer, das Kollektiv ist kleiner geworden – wenn auch nicht immer und wir vermissen unseren Liberalissimus, so wie Russland seinen Schirinowski vermisst.

Dafür tauchen dann plötzlich neue Gesichter auf, die häufig aber wenig Zeit haben und nur mal kurz vorbeischauen und an unseren Gesprächen teilnehmen.

So schaute ein Mann bei uns vorbei und erzählte, dass er in der Landwirtschaft tätig ist. Wir merkten sofort, dass er kein gebürtiger Kaliningrader ist – vielleicht Deutscher … oder Russlanddeutscher …? Egal. Er erzählte uns, dass er Landwirtschaft eigentlich nur als Hobby betreibt, auf ein paar hundert Hektar, ganz alleine. Er brauche keine Mitarbeiter. Personal mache nur unnötige Arbeit und Probleme.

Mir kam da schon der Ausspruch des Genossen Stalin in den Sinn: „Ein Mitarbeiter, ein Problem. Kein Mitarbeiter, kein Problem“, … naja, oder so ähnlich.

Und unser Landwirt erzählte uns, dass die russische Landwirtschaft ein einziger großer Betrug ist und kurz vor dem Zusammenbruch steht. Wir werden es im neuen Jahr sehen.

Wir waren geschockt, wissen wir doch alle, wie wichtig die Landwirtschaft ist, damit wir in der Blockaderegion Kaliningrad nicht verhungern. Und nun teilt uns der Mann mit, dass sogar die ganze russische Landwirtschaft vor dem Zusammenbruch steht.

Die veröffentlichten Zahlen stimmen alle nicht. Die vielen Bauern und Kolchosen in Russland – ja, ja, er sprach noch von Kolchosen, manipulieren die Zahlen der Hektar, die sie bewirtschaften, um dann mehr Subventionen zu bekommen. Die Gelder werden ja alle auf der Grundlage der bewirtschafteten Hektar berechnet – informierte uns der Saunabesucher. Und dann werden Phantasiezahlen nach oben gemeldet, damit die sowjetische … äh, die russische Führung in den Zeitungen melden kann, dass man mal wieder Weltmeister in der Getreide- und sonstigen landwirtschaftlichen Produktion ist. Aber das alles stimme nicht – wartet das kommende Jahr ab … erschreckte uns der Mann.

Und er legte nach. Die Technik, also die Mehrzahl der landwirtschaftlichen Technik die auf russischer Erde im Einsatz ist, stammt aus westlicher Produktion. Und die funktioniert nur mit irgendwelcher Satellitentechnik. Die westlichen Hersteller nehmen keine Updates der in der Technik installierten Software mehr vor und somit wird die Technik bald völlig unbrauchbar sein. Russische Äcker können nicht mehr bewirtschaftet werden.

Die Sauna-Runde saß geschockt auf den Holzbänken. Das Thermometer zeigte 97 Grad. Ich sah, wie einige unserer Stammbesucher sorgenvoll auf ihren Körper unterhalb der Brustwarzen und oberhalb der Badehose schauten. Sie befürchteten wohl Schlimmes. Es verbreitete sich eine depressive Stimmung.

Unser „Kolchosnik“ bemerkte die Stimmung und ergänzte: Ja, man solle sich schon überlegen, ob man jetzt noch in die russische Landwirtschaft investiere. Er werde es nicht mehr machen. Ist ihm zu unsicher.

Unsere obligatorischen 10 Minuten für einen Saunagang neigten sich dem Ende. Eine richtige Diskussion hatte es nicht gegeben – wir waren ja alle keine Landwirte, sondern nur Verbraucher der Kolchoserzeugnisse. Und so gingen wir auseinander – der eine zum Schwimmen, der andere in die Salzkammer oder in das Schwimmbecken.

Am nächsten Tag saßen wir wieder in unserer Sauna-Runde zusammen. Unser Landwirt, unser Kolchosnik, fehlte. Und das war gut so, denn einige aus unserer Runde hatten sich kundig gemacht.

So erzählte einer, dass nicht nur die ausländische landwirtschaftliche Technik, sondern auch alle andere Fahrzeugtechnik, sprich BMW, Mercedes, Rolls-Royce mit Software ausgestattet ist, die schon seit langem durch die westlichen Hersteller nicht mehr aktualisiert wird. Eigentlich dürfte es gar keinen Fahrzeugverkehr mehr in Russland geben. Aber dem ist nicht so. Unsere Spezialisten haben das technische Problem sehr schnell gelöst – erfuhren wir von einem aus unserer Runde.

Ein anderer argumentierte, dass wir ja selber auch landwirtschaftliche Maschinen produzieren. Möglich, dass diese nicht so perfekt sind und der Fahrersitz nicht so bequem ist, wie der in der Westtechnik. Aber sie arbeitet, sie ist billiger, sie ist robuster und verursacht weniger Kosten im laufenden Unterhalt. Und unsere russischen Panzer fahren bei Wind und Wetter durch jedes Gelände und unsere russischen Traktoren auch – ergänzte er seinen Kommentar.

Ein anderer aus unserer Runde erzählte, dass er sich mit einem Bekannten unterhalten habe. Er ist Landwirt und vor ungefähr zehn Jahren nach Kaliningrad gekommen. Schritt für Schritt hat er seinen landwirtschaftlichen Betrieb aufgebaut und bewirtschaftet jetzt einige tausend Hektar. Der ist zufrieden und war völlig überrascht, dass die Landwirte in Russland im großen Umfang betrügen sollen und die Landwirtschaft überhaupt kurz vor dem Zusammenbruch steht. Er plane auch weiterhin Investitionen und wird seinen Betrieb entwickeln. Die Voraussetzungen sind in Russland ideal. Er brauche keine Subventionen vom russischen Staat. Sein Betrieb arbeitet rentabel ohne staatliche Hilfe.

Ein Dritter aus unserer Saunarunde hatte auch einen Bekannten in der Landwirtschaft. Auch dieser hat einen großen Betrieb und der meinte, dass die Aussagen von diesem „Kolchosnik“ von vorne bis hinten erlogen sind und jeglicher Grundlage entbehren. Auch er habe im großen Umfang westliche Technik – leider, aber dass die wegen Software- oder Ersatzteilproblemen komplett ausfällt – nein, das hat es bei ihm noch nicht gegeben. Er kaufe jetzt aber russische Technik. Die ist in der Anschaffung billiger und man kann sie in Russland zinsgünstig finanzieren. Sein größtes Problem sei gegenwärtig der Mangel an Arbeitskräften. Sein Betrieb entwickelt sich schnell und Arbeitskräfte sind knapp.

Wir diskutierten noch ein wenig und versuchten uns vorzustellen, dass die russische Landwirtschaft wirklich zusammenbricht. Welche Folgen dies wohl hätte – sowohl für uns und unsere Bäuche, aber auch für die Welt selber. Immerhin ist Russland einer der größten Exporteure für landwirtschaftliche Erzeugnisse. Es kann also eigentlich niemand so richtig daran interessiert sein, dass die russische Landwirtschaft zusammenbricht – denn die ukrainische Landwirtschaft als Mini-Alternative steht auch nicht mehr zur Verfügung um Ersatzlieferungen für die hungernde Welt zu tätigen.

Wir kamen somit alle zu der Überzeugung, dass unser temporärer Gast seiner Phantasie sehr freien Lauf gelassen hat. Einer aus unserer Runde meinte sogar, dass es ein Provokateur gewesen sein könnte, der auf diese einfache Weise nur Gerüchte in Umlauf bringen wolle. Gerade Stammtischparolen … äh, ich meine natürlich Saunagespräche, verbreiten sich in Windeseile. Wir wissen ja, in welcher Zeit wir heute leben und … irgendwie habe der „Kolchosnik“ doch mit Akzent gesprochen, erinnerte man sich:

„Erichowitsch, könnte das nicht ein deutscher Akzent gewesen sein?“ – wurde ich gefragt. Ich überlegte kurz und antwortete: „Ja, durchaus möglich.“

Autor des Beitrages ist „Baltische Welle“. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Ihr Interesse. Tschüss und Poka aus der Blockadestadt Kaliningrad.