Jeder Mensch hat seine Meinung zu irgendwelchen Dingen, die um ihn herum passieren – im privaten oder auch im gesellschaftlichen Bereich.
Geht es um Politik, schlagen schnell die Emotionen hoch. Zehn Tage war ich jetzt in dem Land, welches Russland als „unfreundlich“ eingestuft hat. Ich bin beeindruckt von dieser verbalen Zurückhaltung, denn eigentlich ist die Bundesrepublik Deutschland „Feind“. Aber die russische Politik, die russische Diplomatie, ist noch nicht so weit, Fakten offiziell so klar zu bezeichnen.
Viele Monate hat sich das offizielle Russland auch zurückgehalten, eine Charakterisierung der Personen vorzunehmen, die Russland nach dem 24. Februar 2022 verlassen haben. Vermutlich hat man immer gehofft, dass die „verlorenen Schäfchen“ wieder zurückkommen.
Ja, es sind bereits rund ein Viertel der Ausgereisten wieder nach Russland zurückgekehrt – allerdings wissen wir in Russland nicht, wer zurückgekehrt ist. Ausgereist ist Iwan Iwanowitsch. Zurückgekehrt ist auch Iwan Iwanowitsch. Aber ist es wirklich noch der Iwan Iwanowitsch, der ausgereist war? Oder ist er noch negativer seinem Staat Russland gegenüber eingestellt, als zum Zeitpunkt seiner Ausreise … nur das er jetzt besser vorbereitet ist, mit seinen Emotionen, mit seinen negativen Einstellungen besser umzugehen – zum Schaden des Landes.
Immer dann, wenn ich über diese Leute gesprochen habe – aber natürlich auch über einen, nicht gerade kleinen Personenkreis aus den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts, habe ich den Sammelbegriff „Verräter“ genutzt – ein Wort, welches das offizielle Russland nicht nutzte. Und ich war mir nicht immer sicher, ob ich mich mit derartigen Formulierungen vielleicht zu weit aus dem Fenster lege und mit derart scharfen Einschätzungen Dinge ausspreche, die nicht im Interesse des Staates sind, welcher mir seit 1995 Gastrecht und seit 2020 auch die Staatsbürgerschaft gegeben hat.
Seit heute weiß ich jedoch, dass ich nicht allzu viel verkehrt formuliert habe, denn Wjatscheslaw Wolodin, der Vorsitzende der russischen Staatsduma, hat nun auch von Verrätern gesprochen und diejenigen gemeint, die Russland in schwierigen Zeiten verlassen haben.
Und er bezeichnet diese russischen Staatsbürger nicht nur als Verräter, sondern meint auch, dass niemand auf die Rückkehr dieser Bürger wartet.
… naja, das stimmt so natürlich nicht ganz, denn der Staatsanwalt wartet natürlich … insbesondere auf die, die sich im Ausland besonders gegen Russland exponiert haben.
Wolodin kommentierte, dass viele von denen, die jetzt nach Russland zurückgekommen sind, einfach in den Ländern, wo angeblich Milch und Honig fließen, keine Arbeit gefunden haben. Und jetzt sind sie zurückgekommen und sie stellen fest, dass man sie in Russland nicht mit offenen Armen empfängt. Sie werden es schwer haben, Arbeit in Russland zu finden – trotzdem es großen Arbeitskräftemangel in Russland gibt.
Wolodin erzählte weiter, dass nicht wenige aus Russland nach Israel geflüchtet sind. Sie haben dort sogar die Staatsbürgerschaft erhalten und versuchen jetzt, noch schneller wieder das Land zu verlassen, denn eigentlich wollten sie ja nur gut leben. Jetzt aber können sie stündlich einen Einberufungsbefehl erhalten, um für Israel im Gaza zu sterben.
In den Beiträgen der russischen Medien zu diesem Thema, werden auch bekannte russische Kulturschaffende zitiert. Viele äußern sich zu den bekannten Künstlern, Schauspielern, Sängern usw., die in den letzten Monaten Russland verlassen haben. Viele von denen haben im Westen Schiffbruch erlitten. Man versteht sie dort nicht. Und jetzt wollen sie wieder zurück und sich beim russischen Publikum einschleimen. Aber man wird deren Verrat nicht vergessen und ob diese Künstler wieder ein Engagement bekommen … bleibt abzuwarten. Und wenn sie ein Engagement bekommen, bleibt abzuwarten, ab das Publikum sie sehen will … und wenn das Publikum in Massen erscheint, um sie zu sehen, bleibt abzuwarten, ob es nicht pfeift und mit Eiern wirft.
Mich erinnert diese Situation ein wenig an die ehemalige DDR, wo wir uns mit diesem West-Import Biermann ein Kuckucksei ins Nest gelegt hatten. Die Ausbürgerung kam spät, sehr spät, tat uns sicherlich auch weh. Und, glaubt man den heutigen Kommentaren westlicher „Erfahrener“, so meinen diese, dass die „Biermann-Ausbürgerung“ der Initialfunke für den Untergang der DDR war.
Persönlich bin ich dafür, dass wir diesem Gedanken einfach Glauben schenken – wir ändern ja sowieso nichts mehr an dem Fakt, dass die DDR nicht mehr existiert und auch nicht mehr wiederkommen wird. Aber wenn es so ist, dass die Affäre „Biermann“ der Initialfunke war, so sollten wir in Russland daraus lernen und keine „Biermann“-Gruppierung, also zurückkehrende Kulturschaffende zulassen, die unsere Gesellschaft von innen heraus, zerstören.
Diejenigen, die das Land in diesen schwierigen Zeiten verlassen, sind Verräter. Und alle sollten wissen, dass eine Rückkehr zwar möglich ist, aber es ihnen schlechter gehen wird, als vor der Ausreise. Sie sollen leben, wie die Lepra-Kranken vor 200 Jahren.
Autor des Beitrages ist „Baltische Welle“. Vielen Dank für Ihr Interesse. Tschüss und Poka aus Kaliningrad.