Es gibt viele Möglichkeiten, sich zu treffen und Gespräche zu führen. In Russland ist es üblich, dass man sich in der Küche trifft. Auch ich sitze mit meinen Gästen in der Küche. Aber es gibt Ausnahmen und wir sitzen neben einem Kamin – auch zu hitzigen Zeiten, und versuchen mit kühlem Kopf Gedanken auszutauschen.
Ein paar Tage war ich in Deutschland, dem Russland-unfreundlichen Land, um ein paar Dinge zu erledigen, die notwendig sind, wenn man sich generell aus dem Land verabschieden will.
Gleich nach meiner Rückkehr, traf ich einen alten Bekannten noch am Kaliningrader Busbahnhof. Er erzählte mir, dass er meine Sozialauftritte im Internet verfolgt und wusste, wann ich wieder nach Hause komme und er wollte sich gleich anmelden für ein Gespräch am Kamin – er hatte gelesen, dass ich wieder etwas mehr Zeit habe, nachdem die wesentlichsten Fragen im Zusammenhang mit dem Aufenthalt meiner Mutter in Kaliningrad geregelt sind.
„Und? Konnten Sie alle Fragen in dem Land klären, welches uns nun schon dreimal in den letzten hundert Jahren den Krieg erklärt hat“, - fragte mich mein Bekannter.
„Ich hoffe“, - antwortete ich. „Wobei natürlich auch noch Dinge passieren können, die nicht geplant sind und die man „elektronisch“ nicht regeln kann. Deutschland ist ja IT-logistisch nicht so modern aufgestellt, wie Russland. Da könnte es sein, dass ich gezwungen bin, nochmal den Reisestress auf mich zu nehmen.
Ein paar Tage später saßen wir an meinem Kamin. Mein Bekannter brachte einen Tee mit, welchen er selber hergestellt hat. Er war ein paar Wochen in der Taiga und hat dort Kräuter gesammelt. Und daraus hat er Tee hergestellt. Von einem Einheimischen hat er noch ein Glas Honig gekauft. Nachdem die Versorgungslogistik unseres Gespräches stand, begann er gleich mit dem Gespräch.
Er erinnerte an meinen kurzen Beitrag, den ich vor wenigen Tagen veröffentlicht hatte. Ein Oberst aus einer NATO-Struktur in Litauen, hatte in einem Interview erzählt, was mit dem Gebiet Kaliningrad im Konfliktfall passieren wird. Die NATO wird das Gebiet einfach blockieren – so kurz zusammengefasst der Inhalt.
Mein Bekannter wollte wissen, in welcher Zeitung ich diese Meldung gelesen hatte.
Im Regionalportal „newkaliningrad“, antwortete ich ihm.
Und sonst nirgendwo – fragte er weiter?
Nein, sonst habe ich diese Meldung in keiner anderen Zeitung gefunden.
Daran kann man dann schon die Bedeutung der Äußerungen dieses NATO-Oberst sehen – kommentierte mein Bekannter. In Russland hat man diese Äußerungen nicht zur Kenntnis genommen. Nur ein einziges Regionalportal, dazu noch ein Portal, welches für seine liberalen Einstellungen bekannt ist, hat den Oberst zitiert. Man wollte wohl seine Leser ein wenig erschrecken und möglichen kritischen Einstellungen neuen Dünger geben.
Nehmen Sie also die Äußerungen dieses Obersten nicht so ernst. Es gibt Leute in der NATO die wirklich in der Lage sind strategisch zu denken und die besser wissen, welche Folgen eine Blockade Kaliningrads hätte. Es ist ja nicht so, dass man einfach die Grenztore abschließt und das Licht im Zollgebäude ausknipst.
Und welche Folgen könnte eine komplette Blockade des Kaliningrader Gebietes haben? – fragte ich meinen Gast.
Wenn wir von einer Komplettblockade sprechen, so bedeutet dies, dass sich nichts mehr bewegen soll – weder auf dem Landweg, noch über, noch unter Wasser und auch nicht in der Luft. Die Situation wird also schlimmer als während der Berlin-Blockade in den 40er Jahren, wo ja wenigstens der Lufttransport noch funktionierte. Im Kaliningrader Gebiet leben rund eine Million Menschen und die wollen leben. Russland erinnert sich noch sehr gut an die Leningrad-Blockade im Großen Vaterländischen Krieg und wird eine Wiederholung nicht zulassen. Die technischen Voraussetzungen, um eine Blockade für die NATO zur tödlichen Gefahr werden zu lassen, sind wesentlich besser, als damals – so mein Bekannter.
Niemand in Russland behauptet, dass eine Blockade Kaliningrads ein Zuckerschlecken wird und die Bevölkerung das leicht wegsteckt, weil die Eigenversorgung des Gebietes gewährleistet ist. Die Eigenversorgung ist natürlich nur im begrenzten Umfang gewährleistet, denn es gibt noch andere lebenswichtige Dinge, außer Kartoffeln und Wasser, die man zum Leben braucht – z.B. Medikamente, die irgendwie in das „Geschwür“ im NATO-Körper transportiert werden muss.
Die Welt wird im Blockadefall auf die eine Million Kaliningrader Russen so schauen, wie heute die Welt auf die Bewohner des Gaza-Streifens schaut. Aber Russland wird die Erfahrung der Palästinenser nicht wiederholen und wird sich ganz bestimmt nicht auf irgendwelche internationale Solidarität verlassen. Wenn Israel im Gaza schalten und walten kann, wie es will, so wird es die NATO im Kaliningrader Gebiet nicht tun können.
Man wird die Kaliningrader nicht von West nach Ost, von Nord nach Ost, von Süd nach Ost schicken, um Kampffreiheit für die NATO zu schaffen. Der Suwalski-Korridor, von dem ja immer wieder mal gesprochen wird, wird nicht funktionieren, zumindest nicht, um die Kaliningrader Bevölkerung in das russische Mutterland zu evakuieren – also ähnlich wie das jetzt im Gaza organisiert wird. Es wird im Kaliningrader Gebiet alles viel schneller gehen, als manche sich das im Westen jetzt vorstellen – meinte mein Gesprächspartner.
Ich sah ihn fragend und neugierig an.
Wir haben Militärdoktrin, ganz aktuelle. Und dort wird davon gesprochen, dass wir uns mit allen Mitteln zur Wehr setzen werden, wenn unser Land angegriffen wird. Und wenn wir um die Existenz des Landes fürchten müssen, werden auch Massenvernichtungswaffen eingesetzt. Putin sprach mehrmals davon, dass Russland über Waffen verfüge, die völlig neue physikalische Wirkungsweisen haben und die einen Einsatz von Atomwaffen vermutlich überflüssig machen … zumindest jedoch hinauszögern können.
Kaliningrad ist für Russland ein existenziell wichtiges Territorium. Man wird nicht lange zögern, wenn allen klar ist, dass das Unwetter kommt. Wenn eine Prügelei unvermeidlich ist, so sollte man als erster zuschlagen – erinnern Sie sich an diese Putin-Äußerung?, fragte mich mein Kamingast.
Natürlich kann die NATO versuchen, aus dem Seekriegshafen Baltisk ein zweites Pearl Habor machen. Danach dürfte aber die in Kaliningrad stationierte Technik ähnliches für alle anderen Ostseehäfen organisieren. Wozu die NATO in der Lage ist und wozu man nicht in der Lage ist, sehen wir doch heute bereits in der Ukraine. Hier führen wir nur einen Militärsondereinsatz durch. In Kaliningrad würden wir Krieg führen.
Ich weiß es nicht, setzte mein Gesprächspartner fort, aber wenn wir den westlichen Medien glauben, sollen auf dem Kaliningrader Gebiet Atomwaffen stehen. Die werden ganz bestimmt nicht in die Hände der NATO fallen. Wo werden diese hinfliegen? Und selbst wenn sie ihr Ziel nicht erreichen, an welcher Stelle Richtung Westeuropa werden diese abgeschossen? Über Polen? Über Deutschland? Wohin rieselt dann der Atommüll dieser Raketen?
Sollte die NATO allerdings gegen Kaliningrad sofort atomare oder andere Vernichtungswaffen einsetzen, so dürfte damit das Ende Europas besiegelt sein, denn Russland wird massiv antworten – davon bin ich felsenfest überzeugt. Und damit sind wir wieder bei den Spezialisten der NATO, die strategisch denken können und die genau wissen, was passiert. Deshalb sind ja alle daran interessiert, immer noch einen Heißen Draht in Funktion zu erhalten, damit nicht durch ein Versehen, ein atomarer Krieg ausgelöst wird – ergänzte mein Gast seine Überlegungen.
Aber was passiert denn nun, wenn trotzdem die Blockade kommt, die klugen NATO-Strategen nicht das Übergewicht haben, sondern Hitzköpfe, fragte ich.
Dann gehe ich davon aus, dass wir den Zugang zum Kaliningrader Gebiet mit Gewalt, nach einem Ultimatum an die NATO, erzwingen werden. Und dies wiederum bedeutet natürlich Krieg, so wie es durch das Lexikon definiert wird.
Unser Vorteil ist jetzt, dass unsere westlichen „Partner“ wohl wesentlich aufmerksamer auf das hören werden, was die russische Führung, also nicht nur Putin, sagt. Vor dem 24. Februar 2022 hat man nicht sehr aufmerksam auf uns, auf die Äußerungen Putins gehört. Hätte man darauf gehört, hätte es keinen 24. Februar 2022 gegeben. Jetzt wissen alle, was passiert, wenn sich Russland bedroht fühlt.
Dann wollte ich wissen, wie es denn mit den baltischen Ministaaten weitergeht. Die fürchten ja, dass nach der Ukraine Russland sein Sicherheitsproblem mit den baltischen Staaten klärt. Kommt es dort auch zu einer Militäroperation – wollte ich wissen.
Das glaube ich nicht – erwiderte mein Partner. Dort wird sich das Sicherheitsproblem Russlands viel einfacher lösen, als in der Ukraine.
Russland hat keine Wunderwaffen. Deshalb wird man auch keine militärischen Auseinandersetzungen mit der NATO beginnen – schon gar nicht wegen der baltischen Ministaaten. Die wirtschaftliche Entwicklung in der Europäischen Union wird zum Zerfall dieser Union führen und zu gesellschaftlichen Unruhen in allen Mitgliedsländern in den kommenden zwei, drei Jahren. Das bringt die notwendigen Veränderungen, die das Sicherheitsbedürfnis Russlands dann befriedigt.
Und, so meinte mein Besucher, dazu kommt, dass die Technologie der „Bunten Revolutionen“ urheberrechtlich nicht geschützt ist. Nicht die Bevölkerung der jeweiligen Länder wollte in die NATO oder die EU. Zuerst wurden die Regierungen „gewählt“, die dann den Beitrittsprozess einleiteten. Das Ganze funktioniert auch umgekehrt – es wird eine Regierung „gewählt“, die den Prozess rückgängig macht.
Was die Großmäuligkeit von NATO-Offizieren an belangt – setzte mein Gast seine Überlegungen fort, so sollten diese in die Geschichte schauen, wie oft Schweden und Finnland, aber auch Polen und die Litauer gegen Russland Krieg geführt haben und wie all diese Kriege endeten – von solchen Ländern wie Frankreich und Deutschland, also Napoleon und AH ganz zu schweigen.
Die Zeit wird für Russland arbeiten, meinte, nach einem kräftigen, abschließenden Schluck selbstgesammeltem Tee mein Kamingast. Peskow hatte das sehr nett am 13.11. formuliert – als Antwort auf die Äußerungen des deutschen Kanzlers Scholz, der seine Gesprächsbereitschaft signalisierte.
„… Aber die Zeit ist ein gutes Mittel, um Positionen einer ganzen Reihe von Politikern der Europäischen Union zu verändern. Wir sehen dies bereits“, - kommentierte Peskow. Und das war dann auch das Schlussargument meines Besuchers.
Autor des Beitrages ist „Baltische Welle“. Vielen Dank für Ihr Interesse. Tschüss und Poka aus Kaliningrad.