Nachfolgende Angaben stammen von Kurt Marti.
1921 Geboren in Bern/Schweiz. Brillenträger seit dem fünften Lebensjahr, deshalb Abneigung gegen Gewalt von früh an.1928-1940 Gradlinige Schulzeit bis zur Matura. Zeitweilig war Friedrich Dürrenmatt mein Klassenkollege. Wie ein erleuchtender Blitz trafen mich im Deutsch-Lesebuch zwei Gedichte von Stefan George, die im Unterricht unbehandelt blieben, mir aber zeigten, was Poesie sein kann.1940-1941 Zwei Schnuppersemester an der juristischen Fakultät Bern, sozusagen in ratloser Nachahmung meines älteren Bruders, der es freilich dann bis zum Professor brachte.1941-1945 Nach fast einem Jahr ununterbrochenem Militärdienst begann ich, beeinflusst und überzeugt von Karl Barth, der von Basel aus unentwegt zum Widerstand aufrief, Theologie zu studieren. Das Studium wurde allerdings durch immer neue Militärdienste unterbrochen. «Soldaten sind Mörder» (Tucholsky), potentiell war auch ich einer – und doch: Wie hätte man dem Nazi-System anders als schliesslich eben mit Waffengewalt entgegentreten sollen? Selbst der bereits 55-jährige Barth leistete an der Grenze Wachdienst mit dem Karabiner.
1945-1946 Studium bei Karl Barth in Basel
1947-1948 In Paris als Mitarbeiter der Ökumenischen Kommission für die Seelsorge an (deutschen) Kriegsgefangenen. Viele Kontakte mit den evangelischen Gemeinden in den Lagern, die bereits ziemlich offen waren, aber erst allmählich aufgelöst wurden. In Paris hörte ich Boris Vian die Jazztrompete spielen. Auch sonst viele Jazzkonzerte (Armstrong, Gillespie usw.). Ich war, ich bin Jazz-Fan, dafür kirchenmusikalisch unbedarft.
1948-1949 Abschluss des Studiums, Ordination zum Pfarrer. Ein Jahr lang Hilfspfarrer in der ländlichen Kirchgemeinde Rohrbach.
1950 Heirat mit Hanni Morgenthaler, die, wie Tucholskys Nuuna, aus Langenthal stammt.
1950-1960 Pfarrer im Industriedorf Niederlenz bei Lenzburg (wo Frank Wedekind einst seine Jugend verbracht hatte). Nach und nach kamen vier Kinder zur Welt. Ich begann zu schreiben (Zeitungsartikel, Gedichte, Geschichten) und, ermuntert durch den Literaturkritiker Max Rychner und den Schriftsteller Jörg Steiner, erste Poesie- und Prosabändchen zu veröffentlichen.
1961-1983 Pfarrer an der Nydeggkirche in Bern. Die schriftstellerische Tätigkeit erweitert und beschleunigt sich. Engagement im Kampf gegen Atomwaffen, gegen Atomkraftwerke, gegen die US-Intervention in Vietnam. Mitbegründer der «Erklärung von Bern», die sich für die Rechte der Dritten Welt einsetzt. Mitbegründer der dissidenten Autorengruppe Olten. Verschiedene innenpolitische Kontroversen, die einen Gerichtsfall zur Folge hatten und die Ablehnung eines Lehrauftrags an der Universität Bern, für den mich die theologische Fakultät vorgeschlagen hatte. Die Kantonsregierung erachtete mich jedoch als zu «links» und zu gefährlich – was ich als schöne Auszeichnung empfand und mir, als kleine «Rache» der theologischen Fakultät, deren Ehrendoktor eintrug.
Ab 1983 Ich lasse mich etwas vorzeitig pensionieren, um mehr Zeit für schriftstellerische Arbeiten und auch für Lesereisen ins Ausland (Bundesrepublik, DDR, Österreich, Italien, Portugal, England, Schweden, Finnland) zu haben. Im November 1989 wird im Berner Münster «Sunt lacrimae rerum» ein ökologisches «Oratorium für den Planeten des Lebens» (Komponist: Daniel Glaus) dargeboten. Dorothee Sölle, Adolf Muschg und ich verfassten dazu die Texte und trugen sie im Rahmen der zwei Aufführungen auch selber vor. Nach Karl Barth war Dorothee Sölle, die ich seit den 60er-Jahren kenne, diejenige, die mich theologisch am meisten angeregt hat. Und was sonst noch? Lektüren natürlich (vor allem Jean Paul, Hölderlin, René Char, Paul Celan, Rilke von neuem …).Kurz & knapp Seit bald 77 Jahren lebe ich, mit Ausnahme eines Pariser Jahres, im deutschsprachigen Teil der Schweiz, seit bald 48 Jahren zusammen mit meiner Frau. Die vier Kinder sind längst erwachsen, die vier Enkel noch nicht. Weil ich, Theologe aus Lust, Pfarrer von Beruf, anstatt der Midlife¬-Crisis zu verfallen, Bücher zu schreiben begann, figuriert deren Liste jetzt im Computer der Kongressbibliothek in Washington.
Quelle: Kurt Marti, Stationen des Lebens (in: Verleihung des Kurt Tucholsky-Preises für literarische Publizistik 1997 an Kurt Marti, Kurt Tucholsky-Gesellschaft Berlin, 1997, S. 61-64)
Werke:
- Boulevard Bikini. Gedichte; Holzschnitte von Willy Leiser. Vorstadtpresse, Biel 1959.
- Republikanische Gedichte. Tschudy, St. Gallen 1959; erweiterte Neuausgabe: Luchterhand, Neuwied 1971.
- Happy End. Kurzgeschichte. 1960.
- Paraburi: Eine Sprachtraube. Zytglogge, Bern 1972.
- Rosa Loui. Vierzg Gedicht ir Bärner Umgangsschprach. Luchterhand, Neuwied (Erstausgabe 1967) 1974.